Wir sind die letzte Generation

Wir sind die letzte Generation, die einen gefährlichen Klimawandel verhindern kann

Die Aktionen der ‚Letzten Generation‘ sind heftig umstritten. Einige aufgebrachte Autofahrerinnen und Autofahrer reagierten sogar mit Gewalt. Während man ‚normale‘ Staus hinnimmt, werden die Klimaschützer kriminalisiert, ja mit der RAF und den Taliban in Verbindung gebracht. Von wem geht aber die größere Gefahr aus, von denjenigen, die durch zivilen Ungehorsam den Blick auf die drohende Katastrophe lenken oder von denjenigen, die den aktuellen Klimawandel, die Verantwortung der Menschheit als Verursacherin, die Gefährlichkeit der Folgen und/oder die Dringlichkeit entschiedenen Handelns herunterspielen oder gar leugnen?

1. Sehen: Symptome, Ursachen und Folgen der gegenwärtigen Klimakrise

Unter ‚Klima‘ versteht man die Gesamtheit des Wetters einschließlich der dabei auftretenden Extremwerte. Während man die Temperatur, Windgeschwindigkeit oder Niederschlagsmenge, also das Wetter, unmittelbar erleben und messen kann, lassen sich Erkenntnisse über das Klima und dessen Wandel nur gewinnen, wenn man mindestens 30 Jahre betrachtet.

Die Spurengase Wasserdampf, Kohlendioxid, Lachgas und Methan besitzen wie Stickstoff und Sauerstoff, die über 99 Prozent der Atmosphäre ausmachen, die Eigenschaft, Lichtstrahlen der Sonne durchzulassen. Anders als die beiden Hauptbestandteile unserer Lufthülle haben die Treibhausgase jedoch die Besonderheit, die von unserem Planeten abgestrahlte Wärme zu absorbieren und teilweise zur Erde 6|7 zurückzusenden. Dieser sog. Treibhauseffekt hebt die durchschnittliche globale Temperatur erfreulicherweise um 33 °C auf lebensfreundliche 15 °C.

Das Problem ist, dass dieser natürliche Effekt durch den Menschen verstärkt wird, wodurch das Klimasystem empfindlich gestört wird. Hauptursachen sind die Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas für Strom, Wärme und Mobilität, die Zementproduktion, Industrie, Landwirtschaft, Tierhaltung und Mülldeponien sowie die großflächige Zerstörung von Wäldern. Die Menschheit setzt durch all das gigantische Mengen von Treibhausgasen frei, derzeit fast 60 Milliarden Tonnen pro Jahr, Tendenz immer noch steigend. Das führt zu höheren Konzentrationen, wodurch die Temperatur der unteren Atmosphäre und der Meere klettert. So erwärmte sich die bodennahe Luft im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten weltweit bereits um 1,1 °C. Macht die Menschheit so weiter wie bisher, kann die Temperatur bis 2100 um bis zu 5,7 °C ansteigen, was verheerende Folgen hätte.

Der Klimawandel ist bereits in vollem Gange. Schon jetzt führt die größere Wärme zu extremen Wetterereignissen, die an Häufigkeit und/oder Intensität zunehmen: vor allem Stürme, Starkniederschläge und Hitze. Die Folgen sind Sturmfluten, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände, die allesamt schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit, die Wasserversorgung und die Ernährung haben. Der Meeresspiegel steigt, was alle tiefliegenden Küstenregionen sowie die dortigen Lebewesen massiv bedroht. Klimazonen verschieben sich, mit katastrophalen Konsequenzen für die Artenvielfalt. Ganze Ökosysteme, wie etwa Korallenriffe, brechen zusammen. Die jüngsten Berichte des Weltklimarates aus den Jahren 2021 bis 2023 sind eindeutig: Der Mensch ist die Ursache der Erwärmung: Entgegen der Meinung von Populisten und Rechtsextremen ist sich die Wissenschaft darin einig, dass die Klimakrise anthropogen und eine große Gefahr für Menschen, Tiere und Pflanzen ist.

2. Urteilen: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit als zentrale ethische Bewertungsmaßstäbe

Der gegenwärtige Klimawandel ist nicht nur eine technische, wirtschaftliche und politische, sondern auch eine moralische und religiöse Herausforderung. Es geht um nichts weniger als um unseren Planeten und das Leben auf ihm, christlich gesprochen: um unsere Verantwortung für die irdische Schöpfung. Sie ist der Menschheit lediglich als Leihgabe zur pfleglichen Nutzung anvertraut. Als Repräsentantinnen und Repräsentanten Gottes (vgl. Gen 1,26 f.) müssen wir das Klimasystem schützen und bewahren (vgl. Gen 2,15). Denn es soll allen, auch den kommenden Generationen, als möglichst stabiles, lebensdienliches Ganzes zugutekommen.

Das größte Gerechtigkeitsproblem besteht darin, dass die Hauptverursachenden und die Hauptleidtragenden nicht dieselben sind. Erstere sind die reichen Industrienationen, aber auch Schwellenländer und Eliten in den Entwicklungsländern. Durch ihr klimaschädliches Handeln verstoßen sie gegen die globale, intergenerationelle und ökologische Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite haben die Hauptleidtragenden – die armen Menschen und Völker, vor allem in Afrika und im Pazifikraum, die Kinder, Jugendlichen und kommenden Generationen sowie unsere Mitgeschöpfe – das Klima kaum oder gar nicht negativ beeinflusst.

Gerechtigkeit verlangt, dass allen ihr Recht zukommen muss. Diejenigen, die im großen Stil Treibhausgase emittieren und/oder Wälder vernichten, missachten die göttliche Schöpfung sowie grundlegende Rechte jetziger und künftiger Menschen: das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, Gesundheit, Trinkwasser und Nahrung, auf Frieden und soziale Sicherheit, auf nachhaltige Entwicklung und auf eine intakte Umwelt. Der menschengemachte Klimawandel ist somit eine massive Ungerechtigkeit, die bestehendes Unrecht, wie Hunger, Armut und Gewalt, weiter verschärft.

Es widerspricht zudem der Gerechtigkeit, dass die Hauptverursacherinnen und Hauptverursacher der Klimakrise weder angemessenen Klimaschutz betreiben noch ausreichend für die Entschädigung der Leidtragenden aufkommen. Das Verursacherprinzip verlangt aber, angerichtete Schäden wiedergutzumachen und darüber hinaus angemessene Hilfe zum Schutz vor den erzeugten Gefahren und bei der Bewältigung der Verluste zu leisten. Vorrangig ist jedoch, im Sinne der Goldenen Regel zu verhindern, das anderen überhaupt Schaden zugefügt wird. 7|8

Für Gerechtigkeit zu sein bedeutet, daran mitzuwirken, das herrschende Wirtschaftssystem sowie rücksichtslose Produktions- und Konsummuster in Richtung Nachhaltigkeit zu korrigieren. Soziale und ökonomische Entwicklungen sind nämlich nur dann nachhaltig, wenn sie dauerhaft umweltgerecht sind und die Grundbedürfnisse der Menschen von heute, insbesondere der Armen, befriedigen und wenn sichergestellt wird, dass auch die nachrückenden Generationen ihre Grundbedürfnisse befriedigen und ihre Rechte wahrnehmen können.

Das große gemeinsame Ziel ist, eine gefährliche menschengemachte Störung des Klimasystems zu verhindern. Dazu muss der Anstieg der globalen Erdoberflächentemperatur deutlich unter 2 °C, besser noch unter 1,5 °C gehalten werden, was bei der Weltklimakonferenz in Paris 2015 verbindlich beschlossen wurde. Unabhängig davon, ob die Völkergemeinschaft dies noch schafft, müssen wir uns für die Senkung des Treibhausgasausstoßes und für den Stopp der Waldvernichtung einsetzen; denn jedes Zehntel Grad Temperaturanstieg, das vermieden wird, bedeutet weniger Leid und Elend.

Wer aus Mangel an Bereitschaft, sich bei seriösen Quellen zu informieren, oder wider besseres Wissen oder aus Habgier Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Klimaforschung, an der Glaubwürdigkeit der Fachleute und ihrer gesicherten Resultate sät, macht sich einer Verschleierung bzw. Verharmlosung von klimabedingten Menschenrechtsverstößen und Angriffen auf die Schöpfung schuldig.

3. Handeln: Schutz des Klimas und Schutz vor dem Klimawandel

In der Klimarahmenkonvention von 1992 betonen die Unterzeichnerstaaten die gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten der einzelnen Länder. Wer mehr von dem ökonomischen System profitiert hat, das den Großteil der Emissionen hervorgebracht hat, ist umso mehr in der Pflicht, zumal diejenigen zumeist auch wirtschaftlich stärker und von den nachteiligen Klimafolgen weniger betroffen sind.

Deutschland gehört immer noch zu den zehn größten Emittenten von Treibhausgasen. Vergleicht man den CO2-Ausstoß seit 1750 steht die Bundesrepublik mit rund 90 Milliarden Tonnen sogar auf Platz 4. Diesen Platz belegen wir auch bei einem Ländervergleich, bei dem es um die Verlagerung von CO2-Emissionen in andere Staaten geht, in denen für uns produziert wird. Schauen wir auf den Konsum, müssten wir unseren ca. 750 Millionen Tonnen klimaschädlicher Gase im Jahr 2022 noch etwa 136 Millionen Tonnen hinzurechnen. Bei dem Ausstoß pro Person, nun wieder aller Treibhausgase, liegt Deutschland mit 9 Tonnen im Jahr um knapp 50 Prozent über dem Weltdurchschnitt, wobei auch der noch viel zu hoch ist.

Vor allem die Hauptverursacher sind verpflichtet, effektive Maßnahmen zur Minderung der Treibhausgas-Emissionen, zum Schutz vor den Auswirkungen des gestörten Klimas, zur Anpassung sowie zur Katastrophenhilfe und zum Wiederaufbau zu ergreifen. Diese Verpflichtungen schnellstmöglich einzulösen, ist aus ethischen Gründen zwingend – und überdies auch ökonomisch vernünftig; denn je zögerlicher die jetzigen Erwachsenen vorgehen, desto höher werden die Kosten ausfallen, die unsere Kinder und Enkel tragen müssen. Für den Klimaschutz sind Anstrengungen auf allen Ebenen erforderlich, von der Staatengemeinschaft bis hin zu den Privathaushalten:

Der wichtigste politische Schritt ist, rechtlich zu verankern, dass Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbraucher die sozialen und ökologischen Folgekosten ihres Tuns vollständig tragen und nicht länger auf andere abwälzen können. Dadurch würde klimaschädliches Verhalten teurer und klimafreundliches Handeln günstiger. Weitere politische Instrumente sind die Festlegung einer globalen Obergrenze für Treibhausgasemissionen, die drastische Korrektur der völlig unzureichenden nationalen Minderungsziele für 2030, der Aufbau eines wirksamen globalen Emissionshandels, die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, die Förderung der Forschung für Nachhaltigkeit und des Technologietransfers zugunsten klimafreundlicher Entwicklung in ärmeren Staaten, eine menschenrechtskonforme Bevölkerungspolitik sowie Umweltbildung und -erziehung.

Zu den technischen Instrumenten gehören das Energiesparen und der Abbau von Verschwendung (etwa bei Lebensmitteln), die Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz, der vollständige Umbau der Energiewirtschaft zu erneuerbaren Energien, die Verbesserung von Speichertechniken, ein sozial- und umweltverträglicher Ausbau verlustarmer Stromnetze, der Stopp der 8|9 Waldvernichtung, ferner Aufforstung und nachhaltige Forstwirtschaft sowie eine Kehrtwende vor allem der industrialisierten Landwirtschaft hin zu ökologischem Landbau.

Die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention haben sich weiterhin verpflichtet, auch Maßnahmen zur Anpassung an die Klimaänderungen durchzuführen. Diese Strategien zielen auf eine Senkung der Verwundbarkeit und eine Stärkung der Widerstandskraft von Lebewesen, Ökosystemen und Staaten.

Papst Franziskus verdeutlicht in seinem Weltrundschreiben Laudato si’, dass es noch nicht zu spät ist (vgl. LS 13, 193): Jede und jeder einzelne, aber auch Staaten und die Völkergemeinschaft können die buchstäblich not-wendige große Transformation voranbringen. Wir alle können Beiträge zum Schutz des Klimas leisten; zusammen mit anderen, aber auch individuell mit dem Einkaufs- und Wahlzettel. Der scheinbare Verzicht (z. B. auf nicht-nachhaltige Konsumgüter) ist in Wirklichkeit ein Gewinn: an Lebensqualität, Frieden und Gerechtigkeit. Gefordert sind wir alle, denn wir sind die letzte Generation, die einen gefährlichen Klimawandel verhindern kann. Unsere Kinder und Enkel könnten uns fragen, warum wir nicht mehr getan haben.

Quelle: Lienkamp, Andreas: Scheinbarer Verzicht ist in Wirklichkeit ein Gewinn. Wir sind die letzte Generation, die einen gefährlichen Klimawandel verhindern kann, in: Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ (Hrsg.): Dossier: Klima, Umwelt und Kinderrechte, Aachen 2023, 6-9.